Neuigkeiten zu rechtlichen Themen

"Klimaneutrale" Lebensmittel: Bei Werbung ohne weitergehende Information droht Unterlassungsklage

Wer heutzutage verantwortungsvoll naschen und schlemmen möchte, sollte allgemein auf mehr achten als nur auf seine eigene schlanke gute Linie. Klimaneutralität ist eines der Schlagworte, nach denen sich manche Verbraucher in ihrem Konsumverhalten richten - ein schlagkräftiges Verkaufsargument also für einige Unternehmen. Zu Recht? Das musste das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) bei gleich zwei Firmen entscheiden.

Wer heutzutage verantwortungsvoll naschen und schlemmen möchte, sollte allgemein auf mehr achten als nur auf seine eigene schlanke gute Linie. Klimaneutralität ist eines der Schlagworte, nach denen sich manche Verbraucher in ihrem Konsumverhalten richten - ein schlagkräftiges Verkaufsargument also für einige Unternehmen. Zu Recht? Das musste das Oberlandesgericht Düsseldorf (OLG) bei gleich zwei Firmen entscheiden.

Bei den beiden Herstellern handelte es sich um einen Fruchtgummihersteller und einen Hersteller von Konfitüren. Beide warben mit dem Begriff "klimaneutral" und wurden daher von einer Wettbewerbszentrale jeweils auf Unterlassung in Anspruch genommen.

Die Richter setzten zunächst einmal voraus, dass der durchschnittliche Verbraucher den Begriff "klimaneutral" im Sinne einer ausgeglichenen Bilanz der CO2-Emissionen eines Produkts verstehe. Dabei sei ihm bekannt, dass diese Neutralität sowohl durch Vermeidung als auch durch Kompensationsmaßnahmen (z.B. Zertifikatehandel) erreicht werden könne. Und genau auf eine solche Information käme es an, um die Behauptung zu belegen. Und hier unterschieden sich die beiden Fälle.

Im Falle der Konfitürenherstellerin (I-20 U 72/22) enthielt weder ihre Werbeanzeige in einer Zeitschrift für Lebensmittel noch die Produktverpackung einen Hinweis darauf, wie es zur behaupteten Klimaneutralität kommt. Sie wurde daher zur Unterlassung verurteilt.

Dagegen hatte der Fruchtgummihersteller (I-20 U 152/22) die erforderlichen Informationen in ausreichender Weise zur Verfügung gestellt. Der Leser der Werbeanzeige in der Zeitschrift für Lebensmittel könne über den darin enthaltenen QR-Code die Website von "ClimatePartner.com" aufsuchen, auf der die erforderlichen Angaben entnommen werden können. Dies war nach Ansicht des OLG in diesem Fall zur Information der Verbraucher ausreichend.

Hinweis: Ein Link oder QR-Code mit weiterführenden Informationen reicht also aus, um Produkte als "klimaneutral" bezeichnen zu können. Ob das, was dann dort steht, allerdings richtig ist, steht auf einem anderen Blatt.


Quelle: OLG Düsseldorf, Urt. v. 06.07.2023 - I-20 U 72/22, I-20 U 152/22
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 09/2023)

Zweijährige Klagefrist: Folgen unzureichender Erstversorgung an Bord eines Flugzeugs fallen unter EU-Recht

An Bord eines Flugzeugs ereignete sich ein Unfall. Dieser für sich war jedoch nicht direkt Dreh- und Angelpunkt, warum der Europäische Gerichtshof (EuGH) zu Rate gezogen werden musste. Vielmehr ging es um die Frage, ob die Folgen einer daraufhin erfolgten schädlichen Erstversorgung dem EU-Übereinkommen von Montreal oder aber den landesspezifischen (hier österreichischen) Gesetzen unterliegen. Warum das? Weil es um die Frist ging, innerhalb derer eine Klage wegen Schadensersatzes und eventueller Folgeschäden einzureichen ist.

An Bord eines Flugzeugs ereignete sich ein Unfall. Dieser für sich war jedoch nicht direkt Dreh- und Angelpunkt, warum der Europäische Gerichtshof (EuGH) zu Rate gezogen werden musste. Vielmehr ging es um die Frage, ob die Folgen einer daraufhin erfolgten schädlichen Erstversorgung dem EU-Übereinkommen von Montreal oder aber den landesspezifischen (hier österreichischen) Gesetzen unterliegen. Warum das? Weil es um die Frist ging, innerhalb derer eine Klage wegen Schadensersatzes und eventueller Folgeschäden einzureichen ist.

Während eines Flugs mit einer österreichischen Airline kippte eine Kanne mit heißem Kaffee von einem Servierwagen auf einen Passagier, der sich dabei Verbrühungen zuzog. Er erhielt an Bord des Flugzeugs zwar eine medizinische Erstversorgung, diese war allerdings so unzureichend, dass sie die Verbrühungen noch verschlimmerte. Schließlich klagte der Passagier mehr als zwei Jahre später vor den österreichischen Gerichten auf Schadensersatz und Feststellung der Haftung für alle künftigen Schäden. Die Airline meinte hingegen, dass die Klage zu spät eingereicht wurde. Denn nach dem EU-Übereinkommen von Montreal hätte die Klage binnen zwei Jahren eingereicht werden müssen. Der Geschädigte sah das anders, da die medizinische Erstversorgung an Bord nicht unter den Begriff "Unfall" im Sinne des EU-Übereinkommens falle. Deshalb sei das EU-Recht auf seine Klage auch nicht anzuwenden, da diese innerhalb des in Österreich vorgesehenen dreijährigen Zeitraums eingereicht worden sei. Das österreichische Gericht hatte den EuGH daraufhin um Rat gefragt.

Der EuGH meinte nun, dass sich die nach dem Übereinkommen von Montreal vorgesehene verschuldensunabhängige Haftung von Fluggesellschaften auch auf eine unzureichende medizinische Erstversorgung an Bord erstrecke. Damit ist vorrangig EU-Recht anzuwenden - und die Klage wurde somit verspätet eingereicht.

Hinweis: Airlines müssen dafür sorgen, dass verletzte Passagiere eine ausreichende medizinische Erstversorgung an Bord erhalten. Ist diese Versorgung mangelhaft, muss die diesbezügliche Klage innerhalb von zwei Jahren eingereicht werden.


Quelle: EuGH, Urt. v. 06.07.2023 - C-510/21
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 09/2023)

Übertragung der Nacherbenanwartschaft: Grundbuchberichtigung auf Basis des Erbscheins, wenn Grundstück noch zum Nachlass gehört

Wird eine Immobilie vererbt, bedarf es in der Folge einer Berichtigung des Grundbuchs, da die Eintragung durch den Tod des Eigentümers unrichtig geworden ist. Der Nachweis der Unrichtigkeit wird durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden geführt. In der Regel reicht hierfür die Vorlage eines Erbscheins aus. Anders kann es allerdings wie im Fall des Saarländischen Oberlandesgerichts (OLG) sein, wenn sich aus anderen Umständen Zweifel ergeben, dass das betroffene Grundstück oder ein Teil davon noch zum Nachlass gehört.

Wird eine Immobilie vererbt, bedarf es in der Folge einer Berichtigung des Grundbuchs, da die Eintragung durch den Tod des Eigentümers unrichtig geworden ist. Der Nachweis der Unrichtigkeit wird durch öffentliche oder öffentlich beglaubigte Urkunden geführt. In der Regel reicht hierfür die Vorlage eines Erbscheins aus. Anders kann es allerdings wie im Fall des Saarländischen Oberlandesgerichts (OLG) sein, wenn sich aus anderen Umständen Zweifel ergeben, dass das betroffene Grundstück oder ein Teil davon noch zum Nachlass gehört.

Nach dem Tod der Erblasserin 2007 beantragte eine Erbin die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins, der sie und zwei weitere Beteiligte als Nacherben auswies. Die Vorerbin war bereits vor Antragstellung verstorben. Das Nachlassgericht erteilte einen entsprechenden Erbschein. Unter Berufung auf diesen Erbschein beantragte die Miterbin dann die Berichtigung des Grundbuchs einer im Eigentum der Erblasserin stehenden Immobilie und ihre Eintragung als Miteigentümerin. Hiergegen setzte sich ein weiterer Miterbe im Ergebnis erfolgreich zur Wehr. Die Antragstellerin hatte bereits im Jahr 2010 mit notariellem Vertrag ihre Nacherbenanwartschaft an dem Nachlass der Erblasserin an einen der späteren Miterben übertragen.

Das OLG war vor diesem Hintergrund der Ansicht, dass das Grundbuchamt die Berichtigung zu Recht abgelehnt hatte. Die Umschreibung auf den Erben auf Grundlage eines erteilten Erbscheins ist nur möglich, wenn das Grundstück noch zum Nachlass gehört. Das Grundbuchamt muss dies selbständig prüfen. Die vermeintliche Nacherbin vertrat die Ansicht, dass die notarielle Übertragung ihres Anrechts wegen eines auffälligen Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung sittenwidrig und damit unwirksam gewesen sei. Die Erkenntnismöglichkeiten des Grundbuchamts beschränken sich hingegen im Eintragungsverfahren auf die einzureichenden Unterlagen und die beim Grundbuchamt offenkundigen Umstände. Die Übertragung der Nacherbenanwartschaft führte nach Ansicht des OLG dazu, dass die Erbin nicht als Miteigentümerin der Immobilie im Grundbuch auf der Basis des Erbscheins eingetragen werden konnte.

Hinweis: Der Erwerber der Nacherbenanwartschaft wird bei Eintritt des Nacherbfalls nur vermögensrechtlicher Nachfolger des Erblassers, während der Veräußerer formal weiter als Nacherbe bestehen bleibt und als solcher auch richtigerweise im Erbschein aufgenommen wird.


Quelle: Saarländisches OLG, Beschl. v. 11.07.2023 - 5 W 35/23
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 09/2023)

Anmietung während Pandemie: Wer als Gewerbemieter die Risiken kannte, darf nicht auf Mietminderung hoffen

Immer wieder müssen sich Gerichte mit der Frage beschäftigen, ob im Gewerberaummietrecht eine Absenkung der Miete während der Corona-Zeit rechtmäßig gewesen ist. Dieses Mal war es am Oberlandesgericht Koblenz (OLG), die Antwort darauf zu finden, ob ein Gewerbemieter Anspruch auf Mietminderung hat, obwohl ihm bei Anmietung die geschäftlichen Risiken der Pandemie bereits hätten bekannt sein müssen.

Immer wieder müssen sich Gerichte mit der Frage beschäftigen, ob im Gewerberaummietrecht eine Absenkung der Miete während der Corona-Zeit rechtmäßig gewesen ist. Dieses Mal war es am Oberlandesgericht Koblenz (OLG), die Antwort darauf zu finden, ob ein Gewerbemieter Anspruch auf Mietminderung hat, obwohl ihm bei Anmietung die geschäftlichen Risiken der Pandemie bereits hätten bekannt sein müssen.

Es ging um einen Gewerberaummietvertrag, der am 15.09.2020 abgeschlossen worden war. Für die Monate Februar 2021 bis Juli 2021 und August 2022 bis November 2022 zahlte die Mieterin keine Miete. Schließlich klagten die Vermieter die ausstehenden Mietzahlungen von über 8.000 EUR ein. Die Mieterin war jedoch der Ansicht, dass sie die Miete nicht habe zahlen müssen, da das Mietobjekt aufgrund staatlicher Maßnahmen infolge der Corona-Pandemie geschlossen war. Damit lag sie allerdings nicht richtig.

Zum Zeitpunkt des Mietvertragsschlusses war nicht nur das Risiko von Betriebsschließungen infolge der Pandemie bereits allgemeinhin bekannt, sondern laut OLG auch die potentiellen Folgen der eingreifenden staatlichen Bekämpfungsmaßnahmen. Zudem hätte die Mieterin für eine Reduzierung der Miete infolge staatlicher Corona-Maßnahmen die durch die Maßnahmen bedingte fehlende oder stark eingeschränkte Verwendbarkeit der Mietsache, einschließlich maßnahmebedingter Umsatzausfälle, darlegen und beweisen müssen. Das hatte sie jedoch auch nicht getan.

Hinweis: Wer also während der Pandemie Gewerberäume angemietet hatte, kann sich im Regelfall nicht darauf berufen, dass die Miete wegen der Pandemie und der daraus folgenden Einkommenseinbußen angepasst werden muss.


Quelle: OLG Koblenz, Urt. v. 08.05.2023 - 15 U 1954/22
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 09/2023)

Auskunftsrecht bejaht: Nachvermächtnisnehmer kann Anspruch auf Bestandsverzeichnis haben

Gegenstand des folgenden Rechtsstreits vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth (LG) war einmal mehr die Auslegung eines Testaments, das im Jahr 1986 verfasst wurde. Ausschlag dafür gab der Wunsch auf Auskunft über den Bestand des Nachlasses. Die Erben waren der Auffassung, dass dieser unerfüllt bleiben müsse, da es sich bei dem Antragsteller um einen Vermächtnisnehmer handle, der durch Geltendmachung seines Pflichtteils das Vermächtnis stillschweigend ausgeschlagen und damit auch auf weitere Ansprüche verzichtet habe.

Gegenstand des folgenden Rechtsstreits vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth (LG) war einmal mehr die Auslegung eines Testaments, das im Jahr 1986 verfasst wurde. Ausschlag dafür gab der Wunsch auf Auskunft über den Bestand des Nachlasses. Die Erben waren der Auffassung, dass dieser unerfüllt bleiben müsse, da es sich bei dem Antragsteller um einen Vermächtnisnehmer handle, der durch Geltendmachung seines Pflichtteils das Vermächtnis stillschweigend ausgeschlagen und damit auch auf weitere Ansprüche verzichtet habe.

Der bereits im Jahr 1989 verstorbene Erblasser hatte seine Frau aus zweiter Ehe sowie seinen adoptierten Sohn in einem handschriftlichen Testament bedacht. Dort hatte er verfügt, dass seine Ehefrau seine Erbin werden solle. Nach dem Tod des Letztversterbenden sollte der noch übriggebliebene Nachlass an den Sohn fallen. Der überlebende Ehegatte solle berechtigt sein, über den Nachlass frei zu verfügen, und von allen Beschränkungen befreit sein. Jedoch solle er nicht berechtigt sein, das Testament zu ändern. Nach dem Tod des Vaters hatte der Sohn gegenüber der Witwe einen Pflichtteilsanspruch in Höhe von ca. 650.000 DM geltend gemacht und diesen auch erhalten. Nach dem Tod der Witwe 2020 trat die gesetzliche Erbfolge ein, und der Sohn vertrat gegenüber den gesetzlichen Erben der Stiefmutter die Ansicht, dass die nunmehr verstorbene Erblasserin im Jahr 1986 testamentarisch als befreite Vorerbin und er als Nacherbe eingesetzt worden seien. Er verlangte von den gesetzlichen Erben der Stiefmutter Auskunft über den Bestand des Nachlasses. Die Erben waren aber der Ansicht, dass der Sohn lediglich Vermächtnisnehmer geworden sei und durch die Geltendmachung seines Pflichtteils das Vermächtnis stillschweigend ausgeschlagen habe.

Dieser Ansicht ist das LG nicht gefolgt und hat die Erben dazu verpflichtet, ein Bestandsverzeichnis über den Nachlass nach dem 1989 verstorbenen Erblasser zu erstellen. Das Gericht begründete dies damit, dass der Sohn zwar nicht Nacherbe, jedoch Nachvermächtnisnehmer geworden ist. Aus dem Wortlaut des Testaments ergebe sich zunächst nicht, dass eine Vor- und Nacherbschaft angeordnet sei. Lediglich bezüglich der Ehefrau wird überhaupt von einer Erbeinsetzung gesprochen. Gegen eine Erbeinsetzung des Sohns spricht nach Ansicht des LG aber der Umstand, dass die Ehefrau von allen Beschränkungen befreit werden sollte. Das Gericht kam hier durch Auslegung zum Ergebnis, dass eine Vollerbeneinsetzung der Ehefrau sowie die Anordnung eines Nachvermächtnisses zugunsten des Sohns der vom Erblasser beabsichtigten Stellung der Ehefrau als "superbefreite Vorerben" am nächsten komme. Der Sohn habe das Nachvermächtnis durch die Geltendmachung seines Pflichtteils auch nicht ausgeschlagen. Zwar kann die Geltendmachung des Pflichtteils eine schlüssige Ausschlagung eines Vermächtnisses darstellen. Aufgrund der Umstände ist allerdings davon auszugehen, dass der Sohn immer gedacht habe, testamentarisch als Nacherbe eingesetzt worden zu sein. Hätte er Kenntnis davon gehabt, dass es sich um ein Vermächtnis handelt, wäre der Pflichtteil vermutlich nicht geltend gemacht worden.

Hinweis: Grundsätzlich steht einem Vermächtnisnehmer kein Auskunftsanspruch gegenüber Erben zu. Benötigt er Informationen für die Feststellungen und zur Durchsetzung seines Anspruchs, wird ausnahmsweise ein Auskunftsrecht bejaht.


Quelle: LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 27.07.2023 - 8 O 4921/22
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 09/2023)

Bindungswirkung im Erbscheinsverfahren: Ehefrau per Versäumnisurteil für erbunwürdig erklärt

Endlich hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) zur Frage geäußert, ob die Erbunwürdigkeit auch im Wege eines rechtskräftigen Versäumnisurteils erklärt werden kann.

Endlich hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) zur Frage geäußert, ob die Erbunwürdigkeit auch im Wege eines rechtskräftigen Versäumnisurteils erklärt werden kann.

Erst einmal kurz zum Allgemeinen: Erbunwürdig kann unter anderem derjenige sein, der Straftaten gegen den Erblasser begangen oder diesen durch Täuschung oder Drohung zu einer bestimmten Verfügung von Todes wegen veranlasst hat. Steht eine solche Erbunwürdigkeit im Raum, ist hierfür die Erhebung einer Anfechtungsklage gegen den Erbunwürdigen erforderlich. Bei Erfolg der Klage wird der Erbe als erbunwürdig erklärt; er scheidet aus der Erbfolge aus. Umstritten war bislang, ob diese Erbunwürdigkeit auch im Wege eines sogenannten Versäumnisurteils erklärt werden kann. Ein solches Versäumnisurteil ergeht, wenn der Beklagte auf die Klage nicht oder nicht rechtzeitig reagiert. Dann wird der Sachvortrag des jeweiligen Klägers als richtig unterstellt.

Nach dem Tod des Erblassers 2018 hatte dessen einziges Kind gegen die überlebende Ehefrau eine Klage auf Feststellung der Erbunwürdigkeit erhoben. Begründet hatte es dies damit, dass es vermutete, dass die Ehefrau einen vom Erblasser unterzeichneten Blankopapierbogen zur Erstellung eines Testaments nach dessen Tod verwendet habe. Gegen die überlebende Ehefrau war ein rechtskräftiges Versäumnisurteil ergangen; die Tochter beantragte einen Erbschein, der sie als Alleinerbin ausweist. Sowohl das Nachlassgericht als auch das Oberlandesgericht waren der Ansicht, dass das Nachlassgericht an die Entscheidung in dem Erbunwürdigkeitsverfahren gebunden sei - auch bei einem Versäumnisurteil. Und eben jene Ansicht hat nunmehr auch der BGH bestätigt, und der Erbschein zugunsten der Tochter wurde zu Recht erteilt.

Hinweis: Die Frage der Erbunwürdigkeit kann nicht im Rahmen eines Erbscheinsverfahrens geprüft werden.


Quelle: BGH, Beschl. v. 26.04.2023 - IV ZB 11/22
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 09/2023)

Ersatzbeförderung und Ausgleichszahlung: Rollstuhlfahrer durfte Flugzeug erst als Letzter verlassen und verpasste Anschlussflug

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit dem folgenden Urteil die Rechte von Reisenden mit Handikap enorm gestärkt. Denn hier scheint es, dass ein Mensch durch die Tatsache, auf einen Rollstuhl angewiesen zu sein, eher wie sperriges Gut behandelt wurde. Er musste zuletzt aussteigen und verpasste seinen Anschlussflug. Ob er auf Ausgleich hoffen durfte? Der BGH hat diese Frage beantwortet.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat mit dem folgenden Urteil die Rechte von Reisenden mit Handikap enorm gestärkt. Denn hier scheint es, dass ein Mensch durch die Tatsache, auf einen Rollstuhl angewiesen zu sein, eher wie sperriges Gut behandelt wurde. Er musste zuletzt aussteigen und verpasste seinen Anschlussflug. Ob er auf Ausgleich hoffen durfte? Der BGH hat diese Frage beantwortet.

Über eine Internetplattform wurden ein Flug für insgesamt fünf Personen bei einer Airline von Frankfurt am Main nach Budapest und von Budapest nach Sankt Petersburg gebucht. Einer der Reisenden war auf einen Rollstuhl angewiesen und durfte in Budapest das Flugzeug erst nach allen anderen Passagieren verlassen. Er und seine Hilfsperson verpassten deshalb den zweiten Flug, während die anderen Passagiere den Flug erreichten. Schließlich bemühten sie sich um einen Ersatzflug und erreichten Sankt Petersburg knapp zehn Stunden später. Nun wollten sie die Kosten der Ersatzbeförderung und eine Ausgleichszahlung erhalten. Dabei ging es pro Passagier um jeweils 627,27 EUR.

Der BGH gab den Klägern Recht. Die Airline war für die große Ankunftsverspätung verantwortlich, wenn sie einem Fluggast unter Verstoß gegen Art. 11 Abs. 1 Fluggastrechteverordnung die Möglichkeit genommen hatte, den direkten Anschlussflug rechtzeitig zu erreichen. Auf die Frage, ob ein spezieller Rollstuhlservice für den Transfer gebucht und verspätet erbracht wurde, kommt es bei einem Verstoß des Unternehmens nicht an. Die Airline war verpflichtet gewesen, die beiden Reisenden nach Ankunft in Budapest vorrangig aussteigen zu lassen.

Hinweis: Der Fall ist an sich schon unglaublich. Wir diskutieren über Integration - und eine Fluggesellschaft schafft es nicht, dass ein Rollstuhlfahrer mit seiner Begleitung den Anschlussflug erreichen kann? Wir sollten uns alle mehr an der Integration beteiligen, denn eine Behinderung kann jeden treffen.


Quelle: BGH, Urt. v. 20.06.2023 - X ZR 84/22
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 09/2023)

Gesetzliche Vermutungsregelung: Auslegung der Vor- und Nacherbschaft in einem gemeinschaftlichen Testament

Wer über Antworten auf offene Fragen mutmaßen muss, sucht nach Anhaltspunkten, die nahelegen, was mit großer Wahrscheinlichkeit gemeint gewesen war. So auch das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG), das mit der Interpretation eines handschriftlich verfassten letzten Willens betraut wurde. Und siehe da: Die Bestimmung von Ersatzerben gab dem Gericht einen Wink in die vermutet richtige Richtung.

Wer über Antworten auf offene Fragen mutmaßen muss, sucht nach Anhaltspunkten, die nahelegen, was mit großer Wahrscheinlichkeit gemeint gewesen war. So auch das Oberlandesgericht Frankfurt am Main (OLG), das mit der Interpretation eines handschriftlich verfassten letzten Willens betraut wurde. Und siehe da: Die Bestimmung von Ersatzerben gab dem Gericht einen Wink in die vermutet richtige Richtung.

Die kinderlosen Erblasser hatten im Jahr 1990 ein gemeinschaftliches handschriftliches Testament aufgesetzt und sich gegenseitig zu Alleinerben bestimmt. Nach dem Tod des Letztverstorbenen sollte der gesamte beiderseitige Nachlass je zur Hälfte an den Bruder des Ehemanns bzw. an die Schwester der Ehefrau fallen. Nach dem Tod des Bruders sollte die Erbschaft wiederum an dessen Kinder fallen. Sowohl der Bruder des Erblassers als auch die Schwester der Ehefrau waren bereits vorverstorben. Nach dem Tod des Ehemanns beantragte die Nichte aus der Familie der Ehefrau einen gemeinschaftlichen Erbschein - sie war der Ansicht, dass die Erblasser deren Vermögen zu gleichen Teilen der Familie des Ehemanns und der Ehefrau zukommen lassen wollten. Die Kinder des Bruders waren hingegen der Ansicht, dass vielmehr eine Vor- und Nacherbschaft angeordnet worden sei. Demnach seien sie nach dem Tod ihres Vaters - dem Bruder des Erblassers - als seine Kinder zu gleichen Teilen Erben geworden.

Dieser Ansicht schloss sich im Ergebnis auch das OLG nach einer Auslegung des gemeinschaftlichen Testaments an. Orientiert hat es sich hier zunächst am Wortlaut der Verfügung. Dabei spielte es insbesondere eine Rolle, dass die Erblasser keine Regelung für den Tod der Schwester der Ehefrau getroffen hatten - wohl aber eine Regelung für den Fall des Tods des Bruders. In diesem Fall greift aufgrund des Vorversterbens der Geschwister eine gesetzliche Vermutungsregelung, wonach die Einsetzung als Nacherbe im Zweifel auch die Einsetzung als Ersatzerbe zur Folge hat. Aus diesem Grund sind die Kinder des Bruders dessen Ersatzerben - und zwar zu gleichen Teilen. Gründe außerhalb des Testaments, die gegen diese Auslegung sprechen, konnte das OLG nicht feststellen. Nachdem das Nachlassgericht zunächst einen Erbschein ausgestellt hatte, der auch die Kinder der verstorbenen Schwester als Erben berücksichtigt hatte, wurde diese Entscheidung somit aufgehoben.

Hinweis: Die Auslegung beginnt immer damit, den Wortlaut im Sinne eines allgemeinen Sprachgebrauchs auszulegen. Führt diese Auslegung nicht zur Ermittlung des tatsächlichen Willens eines Erblassers, kommen weitere Auslegungskriterien wie der mutmaßliche Wille des Erblassers zum Tragen.


Quelle: OLG Frankfurt am Main, Beschl. v. 27.06.2023 - 21 W 52/23
zum Thema: Erbrecht

(aus: Ausgabe 09/2023)

Kosten der Schadensabwendung: Mahnung entbehrlich, wenn Schuldner vor Fälligkeit erklärt, nicht rechtzeitig leisten zu können

Ein Grundsatz besagt: Wer seine Schulden nicht zahlt, muss zunächst abgemahnt werden, bevor er rechtliche Schritte zu erwarten hat. Wie es aber mit Grundsätzen so ist: Es gibt Ausnahmen - auch in diesem Fall, der bis vor den Bundesgerichtshof (BGH) ging.

Ein Grundsatz besagt: Wer seine Schulden nicht zahlt, muss zunächst abgemahnt werden, bevor er rechtliche Schritte zu erwarten hat. Wie es aber mit Grundsätzen so ist: Es gibt Ausnahmen - auch in diesem Fall, der bis vor den Bundesgerichtshof (BGH) ging.

Produktionsteile für die Montage von Fahrzeugcockpits sollten nach Mexiko verschifft werden. Dann musste allerdings mitgeteilt werden, dass die Teile wegen eines Maschinenschadens erst später versendet werden konnten. Ein vorheriges Verschiffen sei nicht möglich. Daraufhin wurde eine andere Spedition beauftragt, die Teile per Luftfracht zu befördern. Es entstanden Kosten in Höhe von knapp 13.000 USD. Diese Summe wurde nun eingefordert. Die Schifffahrtspedition wollte die Summe nicht zahlen und meinte, sie befände sich nicht in Verzug, da keine Mahnung vorgelegen hätte.

Das sah der BGH allerdings anders. Eine Mahnung sei dann entbehrlich, wenn der Schuldner noch vor Fälligkeit erkläre, dass er nicht rechtzeitig leisten könne. In einem solchen Fall würde es eine reine Förmelei darstellen, den Eintritt des Verzugs von einer Mahnung des Gläubigers abhängig zu machen. Das Gericht gab der Klage auf Schadensersatz daher statt.

Hinweis: Trotz dieses Urteils sind viele Parteien - gerade im Kaufrecht(!) - gut beraten, eine Mahnung abzusenden, bevor sie weitere Maßnahmen ergreifen. Denn in vielen Fällen ist eine Mahnung erforderlich, bevor der Schuldner in Verzug gerät.


Quelle: BGH, Urt. v. 20.04.2023 - I ZR 140/22
zum Thema: Sonstiges

(aus: Ausgabe 09/2023)

Mehrkosten durch Baustopp: WEG hat Schadensersatzanspruch nach erwirkter Aussetzung eines Beschlusses

Mieter, die besonders in unsicheren Zeiten von einer eigenen Immobilie träumen, führt dieser Fall des Bundesgerichtshofs (BGH) deutlich vor Augen, dass Eigentum verpflichtet - und im Fall einer Eigentumswohnung in einem Mehrparteienhaus auch der Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) gegenüber. Zwar gibt es auch hier Rechte, aber eben auch entsprechende Pflichten, die so manches Mal unerwartbar teuer werden können.

Mieter, die besonders in unsicheren Zeiten von einer eigenen Immobilie träumen, führt dieser Fall des Bundesgerichtshofs (BGH) deutlich vor Augen, dass Eigentum verpflichtet - und im Fall einer Eigentumswohnung in einem Mehrparteienhaus auch der Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) gegenüber. Zwar gibt es auch hier Rechte, aber eben auch entsprechende Pflichten, die so manches Mal unerwartbar teuer werden können.

Eine WEG beschloss, Balkone sanieren zu lassen. Eine Wohnungseigentümerin erwirkte jedoch mit einer einstweiligen Verfügung einen Baustopp. Einen Monat später hob das Gericht diese einstweilige Verfügung auf, und die Berufung der Wohnungseigentümerin gegen diese Entscheidung wurde abgewiesen. Nach Durchführung der Arbeiten wurden dann Mehrkosten von über 11.000 EUR in Rechnung gestellt, die durch den Baustopp verursacht worden waren. Die WEG zahlte diese Kosten und forderte dann die Wohnungseigentümerin zur Erstattung auf. Als diese nicht zahlte, wurde erfolgreich geklagt.

Hat ein Wohnungseigentümer im Wege der einstweiligen Verfügung die vorübergehende Aussetzung eines Beschlusses erwirkt, können die übrigen Wohnungseigentümer laut BGH den durch die Beschlussaussetzung entstandenen Schaden ersetzt verlangen.

Hinweis: Beschlüsse der WEG können natürlich angefochten werden. Doch Vorsicht: Stellt sich später heraus, dass die Anfechtung zu Unrecht erfolgte und ein Schaden entstanden ist, haftet der anfechtende Miteigentümer.


Quelle: BGH, Urt. v. 21.04.2023 - V ZR 86/22
zum Thema: Mietrecht

(aus: Ausgabe 09/2023)